Wenn das Ende des Mannes naht, kann auch der Feminismus sterben

Erst gestern war ich an einem Anlass der international stattfindenden „16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen“. Auf dem Weg dorthin sprachen eine Freundin und ich über die weibliche Alltagserfahrung, sich im öffentlichen Raum vor allem im Dunkeln unsicher zu fühlen, und befürchten zu müssen, belästigt oder überfallen zu werden.

An der Veranstaltung wurden die Anwesenden gefragt, worüber sie sich in den letzten Wochen am meisten aufgeregt hätten. Viele erwähnten Sexismus in den Medien, z. Bsp. die Darstellung von Prostitutierten in Schweizer Medien, oder aber den dumpfen Seximus von Gratisblättern wie dem Blick am Abend oder der Werbung wie jener des Grand Casinos Baden. Ärgerlich auch die Marketingstrategie der Spielzeugindustrie, ihre Produkte bis ins Letzte zu gendern, um kleine Jungen und Mädchen auf ihre zukünftige (beschränkte) Rolle in der Gesellschaft vorzubereiten. Die Aktivist_innen regten sich über die Situation an Unis und Schulen auf, wo geschlechtergerechte Sprache in Arbeiten als Fehler angestrichen wird bzw. wo davon abgeraten wird, geschlechtergerecht zu schreiben, da dies möglicherweise einen negativen Einfluss auf die Note haben könnte. Es herrschte Ärger darüber, dass in Talkshows zumeist Experten über politische und wirtschaftliche Themen sprechen, und über den Backlash der letzten Jahre. Und dann les ich heute im DAS MAGAZIN, „warum das Gerede über benachteiligte Frauen nur noch nervt“.

Damit stärkt DAS MAGAZIN jenen dominanten Mediendiskurs, der besagt, dass der Feminismus sich überlebt habe. Beispiele der letzten Wochen gefällig? Die ZEIT bestätigte kürzlich in einem Leitartikel das Ende des weissen Mannes  (und den Sieg aller bisher Diskriminierten). Im Cicero wurde mit „Schluss mit dem Quoten-Gejammere“ auf allertiefstem Niveau ähnlich polemisiert und in der aktuellen „Vogue“ gab Carla Bruni von sich, es brauche den Feminismus nicht mehr. Hätte ich nicht erst vor kurzem den unsäglichen Cicero-Artikel Herrn Konstantin Sakkas gelesen, wäre Birgit Schmidts Text im DAS MAGAZIN für mich der 2012er-Tiefpunkt eines seit Jahren andauernden Feminismus-Bashings und Geschlechterpolitik-Backlashs. Abgesehen davon, dass der Text einem konfusen Argumentationslauf folgt, steht die These, der Feminismus hätte sich in unseren Breitengraden überlebt, und feministische Forderungen wie z. Bsp. nach einer Frauenquote sei Jammern auf hohem Niveau, auf sehr wackligen Füssen.

Frau Schmidt argumentiert aus einer privilegierten Position, ohne diese zu reflektieren. Massgeblich für ihre Beurteilung, ob’s den Feminismus brauche oder nicht, ist offenbar ihre eigene Nicht-Betroffenheit sowie jene ihres Umfeldes. Wenn bei ihr alles ok sei, oder ihre Freundin die Karriere für ein drittes Kind „opfert“, dann zeige dass doch, dass z. Bsp. das Fehlen von Frauen in Teppichetagen persönliche Entscheidungen sind, die in aller Freiheit getroffen werden. Strukturelle Gründe dafür gibt’s in ihrer, ergo in unser aller Welt nicht.

Statt ihren Wahrnehmungsradius hinsichtlich blinder Flecke zu erweitern, liess sie sich lieber vom Ruf der US-Journalistin Hanna Rosins leiten, die in ihrem kürzlich erschienenen Buch „The End of men“ das tut, was momentan viele so gerne tun: Die Spezies Mann, wie wir sie kennen, als unfit for survival zu brandmarken und zu behaupten: Frauen haben nicht nur in jeder Hinsicht aufgeholt, sondern Männer mittlerweile überholt.

Dabei blenden Schmidt & Co. die gesellschaftliche Realität aus, welche auch im Westen das Leben von Frauen bestimmt:

– Der Grossteil der Reproduktionsarbeit wird immer noch Frauen zugewiesen,

– Die alltägliche Objektifizierung von Frauen in Medien und Werbung,

– Physische und psychische Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen,

– Ihre unzureichende Vertretung in politischen Entscheidungsgremien,

– und ja, die Ungleichbehandlung im Berufsleben, welche by the way, Frau Schmidt, mit den oben genannten Punkten zusammenhängt, da auch sie nur ein Ausdruck dessen ist, dass seit langer langer Zeit – und immer noch – teh menz am längeren Hebel sitzen.

Zum guten Ton gehört heutzutage es entgegen Frau Schmids These nicht, im mutmasslich feministisch dominierten Mainstream mitzuschwimmen und mitzujammern.

Zum guten Ton gehört vielmehr, öffentlichkeitswirksam auf eine der wichtigsten und verdienstvollsten sozialen Bewegungen der Menschheit einzuschlagen und ihr die Legitimation abzusprechen, sie als Lifestyle zu diskreditieren. Feminismus als Mainstream-Lifestyle? Selbst in linken Kreisen gilt „Feminismus“ als schmutziges Wort, vom bürgerlichen Mainstream ganz zu schweigen. Selbst unter Frauen ist immer wieder zu hören „Gleichberechtigung ist ja ne feine Sache, aber als Feminist_in würde ich mich nie bezeichnen.“

Dass DAS MAGAZIN ihr zweifelhaftes Stück Thesenjournalismus mit dem Cover einer halbnackte FEMEN-Aktivistin (oder eines Lookalikes) in einer Küche verkauft, spricht Bände.

Übrigens ist das nicht der erste unsägliche antifeministische Text der Tagi-Magi-Redakteurin Schmidt. Hier ist, war schnell gegoogelt, noch einer.

3 Kommentare

  1. […] über das vermeintliche Sterben des Mannes und den Unterton dieser antifeministischen Debatten, „Wenn das Ende des Mannes naht, kann auch der Feminismus sterben“ Ach […]

  2. Nina Tanner · · Antworten

    Vielen Dank für diese kleine Zusammenschau von den Aktionstagen, und worüber ihr da geredet habt. Zur geschlechtergerechten Sprache an den Unis möchte ich sagen, dass (nach dem Bund und den Kantonen), glaube ich, mittlerweile jede Schweizer Uni selbst ein Regelwerk dazu aufgestellt hat, so dass sich die Studierenden einfach daran halten können. Und wenn was noch nicht so richtig funktioniert, dann sollten die Betroffenen zum jeweiligen Genderbüro gehen.

    Habe auch mit Interesse dein Kommentar zum Artikel im Tagi-Magi gelesen. Und kann deiner Analyse im Grunde voll zustimmen. Was ich mir aber grad überlege ist, wie ich es finde, einem Artikel von besagter offenbar leicht angefixten Post-Feministin so viele Zeilen zu widmen…

    Ich erzähle dir dazu eine im Grunde traurige Geschichte mit (wenn du dir Schadenfreude zugestehst) einer für Feminist_innen befriedigenden Moral. Ich kenne das Magazin etwa seit es von Köppel und dann von Canonica geleitet wird. In jeder WG habe ich glühende Fans angetroffen. Ich selbst fand es einen hobby-intelello-Käse mit einem latent frauen(- und männer)feindlichen Einschlag und einem jungshaften Hang zur Provokation (so habe ich z. Bsp. das vor ein paar Jahren publizierte Foto von einer halbnackten 11-jährigen in Lolita-Pose interpretiert, gemäss Unterschrift die Tochter des Fotografen – jammi) – und, wir wollen ja nicht so sein – einigen durchaus steilen Ausreissern nach oben. Aber ich habe gedacht, nun, die Geschmäcker sind halt verschieden…

    Aus meinen Freundinnen und Bekannten sind junge Mütter geworden und das Naturgesetz, das ich aus diesen Erfahrungen abgeleitet habe, geht so: Je glühender die Magazin-Verehrung der Nuller-Jahre, umso stärker sind diese Frauen und Männer bei ihrer Familiengründung in die Traditionsfalle gelaufen. Einige von diesen Freundinnen, wie mir scheint, praktisch im Blindflug. Und jetzt kommt gerade das fiese Erwachen für sie. Aber alle – das Magazin an vorderster Front – hatten ihnen doch versichert, dass sie jung und sexy und erfolgreich sind, alles miteinander, und alles unter einen Hut, das schaffen sie alles allein, und die Politik braucht es ja eh nicht mehr (das sagen die klugen Ökonomen ja schon lange, hehe) und überhaupt. Und da zappeln sie jetzt.

    Kant, mein Lieblingssexist, hatte Recht mit seinem „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Ach, nach so vielen tausend Jahren Patriarchat empfinde ich es als ein bisschen ungerecht zu sehen, dass Frauen nicht die schöneren UND klügeren Menschen sind.

    1. Liebe Nina

      Danke für dein Feedback. Am Tagi-Magi finde ich eben genau das schlimm, was Du beschrieben hast: Seine Reichweite und der linksliberale Anstrich, den sich das Magazin gibt. Deswegen kann ich nicht umhin, mich drüber aufzuregen, weil ich mir eben vorstelle, dass am Wochenende in Schweizer Haushalten viele sitzen und nicken und sagen, genau, so sehe ich es auch. Das Mindeste, was ich dann tun kann, ist öffentlich zu sagen, dass ich nicht einverstanden bin, und zu versuchen, das Publizierte zu dekonstruieren, d.h. in einen angemessenen Kontext zu stellen, und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen (auch wenn ich nur wenige erreiche). Ob die Schmidt sich als Post-Feministin bezeichnet…? In ihrer Selbstbeschreibung kommt das F-Wort vermutlich nicht vor, auch nicht im negativen Sinn…

      In die Traditionsfalle laufen so einige mit dem Elternwerden, manche bewusst, und andere „im Blindflug“, Backlash sei Dank, für den – und da wären wir wieder beim Thema – Medien mit einer gewissen Reichweite mitverantwortlich sind. Für mich gilt: Zappeln ist ne Option, aber glücklicherweise nur eine von vielen. :)

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